Athen an der Donau

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Neue Zürcher Zeitung
12. Juli 2013

Zu den grössten Architekten Wiens zählt der am 13. Juli 1813 in Kopenhagen geborene Theophil Hansen. Einen Höhepunkt seines baukünstlerischen Könnens bildet das Parlamentsgebäude in Wien, wo derzeit Hansens 200. Geburtstag mit mehreren kleinen Ausstellungen gefeiert wird.

In einer Kurve der Wiener Ringstrasse steht das Haus des Parlaments und überstrahlt mit seiner noblen Klassik die Nachbarbauten. Sein Architekt, der Däne Theophil Hansen (1813–1891), liess sich 1846 nach einem längeren Athen-Aufenthalt in der Donaumetropole nieder. Bekannt wurde Hansen bald mit Wohnbauten im Stil einer griechisch inspirierten Neorenaissance – etwa dem berühmten Heinrichhof. Mit seinem neuen, wegweisenden Typus des palastartigen Miethauses schuf er den «Wiener Stil» und positionierte sich schliesslich mit Bauten wie dem Palais Epstein im grossbürgerlichen Umfeld des Wiener Rings.

Noch fehlten dem in Wien bereits etablierten Architekten jedoch die höheren Weihen großer, öffentlicher Bauaufgaben. Da Hansen überaus beliebt und sogar öffentlich unterstützt wurde, folgte 1868 schließlich die Berufung zum Professor der Akademie. Noch im selben Jahr erhielt er den Auftrag zum Bau der Wiener Börse. 1869 folgte der Auftrag zum Bau des Parlaments.

Die Wahl des griechisch klassischen Stils begründete Hansen mit symbolischen Werten von „Freiheit und Gesetzmäßigkeit“. Der monumentale Baukomplex des Parlaments besteht aus einer Tempelfront in der Mitte, zwei Flanken und sitzt auf einem mächtigen Sockel. Formalästhetisch betrachtet spiegelt der Bau eine gewisse Radikalität im eklektizistischen Umgang mit den Formen der Antike. Der ursprüngliche Plan sah, als hommage an den Polychromiestreit des 19. Jahrhunderts, der sich um die Farbigkeit der Antike drehte, einen farbigen Außenbau vor. Hansen konnte diesen in der Ausführung nicht durchsetzen.

Hinter der Statue der Pallas Athene führt eine symmetrische geschwungene Rampe zum Hauptgeschoß. Räumlich ist das Parlament von beeindruckender Klarheit. Über das prachtvoll gestaltete Atrium im Mittelbau führt der Weg zu den Sitzungssälen in den Seitentrakten. Der Saal des ehemaligen Abgeordnetenhauses ist das Prunkstück des Hauses. Er überstand den 2. Weltkrieg, während Bombentreffer andere Teile des Hauses empfindlich beschädigten. Aus der Zeit des Wiederaufbaus in den Neunzehnhundertfünfzigerjahren stammen punktuelle, innenräumliche Gestaltungen, die wie Einsprengsel überall im Haus anzutreffen sind. Die beeindruckende originalerhaltene Gestaltung des Sitzungssaales verströmt die Aura des Parlamentarismus im einstigen habsburgischen Reich. Seiner angesichts wird Stefan Zweigs Welt von Gestern, das große und mächtige Kaiserreich der Habsburgermonarchie lebendig. Ein buntes Stimmengewirr herrschte damals im Raume. Italiener, Tschechen, Polen, Slovaken, Ruthener und andere bildeten das erste multinationale Parlament der Welt; im Vielvölkerstaat der Donaumonarchie. Für Franz Josef I wurde eine eigene Kaiserstiege gebaut. Der Monarch betrat sie nur wenige Male. Die Innengestaltung des Hauses ist prunkvoll und exquisit zugleich. Hansen führte die bezaubernde Schönheit bis ins kleinste Detail. Er beherrschte eine unnachahmliche Balance von repräsentativer und kultivierter, antikisch inspirierter Ästhetik.

Seine repräsentative Aufgabe hebt das Parlament in seiner Aufgabe vor allen anderen Bauten der Ringstraße hervor. Nun ist das hohe Haus mittlerweile in seiner Bausubstanz ordentlich marod, wie der Wiener zu sagen pflegt. Seit dem Bestehen des Hauses wurde strukturell kaum repariert. Ein Gang durchs Haus zeigt substanzielle Schäden bis hin zum Dach und seiner Konstruktion. Die Schäden sind immens, kurzum das Parlament ist ein einziger Sanierungsfall. Punktuell renoviert und umgebaut wurde bereits im Jahr 2004-2005. Die österreichischen Architekten Geiswinkler & Geiswinkler gestalteten den Eingangsbereich und ein Besucherzentrum des akut sanierungsbedürftig gewordenen Sockelgeschoßes. Die Maßnahme war nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Nun stürmt es im Parlament. Die Ereignisse rund um die dringend nötige Generalsanierung von Theophil Hansens Prachtbau werfen einige Fragen auf. Unter Beweis steht dabei nicht nur die statische Tragfähigkeit der angegriffenen Eisenkonstruktionen des genialen Ignaz Gridl, sondern auch die demokratische Befindlichkeit bei öffentlichen Verfahren.

Im Jahr 2008 wurde ein ausgeschriebener Wettbewerb zu Sanierung und Umbau des Nationalratssitzungssaal und der angrenzenden Bereiche vom oberösterreichischen Architekturbüro Andreas Heidl entschieden. Die begonnenen planerischen Vorarbeiten die über zwei Jahre gelaufen waren, wurden plötzlich gestoppt. Was war geschehen? Während die Arbeiten liefen, wurde parallel dazu von Auftraggeberseite immer deutlicher, dass das Ausmaß des Sanierungsbedarfes verkannt und grob unterschätzt worden war. Ein in Auftrag gegebenes Gutachten der Nationalratspräsidentin ortete umgehenden, sämtliche Bereiche des Hauses umfassenden Handlungsbedarf. So kam es zum paradoxen diametralen Verlauf; hier die unabänderliche Erkenntnis des Gesamtausmaßes, dort die Vorarbeiten nur für einen Teilbereich. Hier passte also etwas nicht zusammen.

In Wien verschob sich die Diskussion um die Sanierung des Parlaments von der gestalterischen Bedeutung kurzfristig zur öffentlichen Debatte um das Wettbewerbsverfahren. Die öffentliche Austragung des Konfliktes polarisierte, die Geschehnisse haben die Gemüter erhitzt. In einem neuen wettbewerbsähnlichen Verfahren werden die Karten nämlich vollkommen neu gemischt. Wer aus dem aufwändigen zweistufigen Prozedere letztendlich als Sieger und zukünftiger Gestalter des Großprojektes hervorgehen wird, wird voraussichtlich mit Ende des Jahres von  der Jury mit neuem Vorsitz entschieden. Technisch ertüchtigt und beeindruckend müsse das neue Parlament sein, lautet der Anspruch. Neu daran ist die Herausforderung, das Haus, das sich bislang eher in schläfriger Zurückhaltung übte, museal und ausstellungsbezogen dem Publikum zu öffnen. Insgesamt ist der entwerferische Spielraum groß, dies ist der gute Aspekt des neuen Verfahrens, denn nunmehr sind die Außenkonturen des Gebäudes bindend.

Die demographische Praxis architektonisch, gestalterisch und last but not least auch auf Verfahrensebene zu lösen, wird eine herausfordernde Aufgabe. Das einstige Siegerprojekt, jetzt ins Abseits gestellt, beeindruckte allen voran, laut Wettbewerbsjury, durch seine sensible Verträglichkeit im Bestand. Die Auszeichnung klingt nachträglich ein wenig nach Ironie. Denn die Republik nahm auf ein sensibles und vorbildhaftes Verfahren nicht allzuviel Bedacht. Die Ereignisse beschwören die Geister der Vergangenheit.

Denn die Debakel um Wettbewerbe und nicht realisierte Entwürfe bilden ein eigenes und langes Kapitel in der Geschichte des Wiener Rings. Sie zeugten von Neid und Missgunst. Das einst geplante Kaiserforum Gottfried Sempers, die monumentale Ensemblegestaltung von Hofburg und Museen etwa, wurde nur zum Teil erbaut. Der städtebauliche Torso, ist heute, über hundert Jahre später, in seiner Unvollendung nicht ohne Reiz. Semper war einst gekommen um zu schlichten und zu bauen. Sein „Blick zurück im Zorn“ barg nur mehr schlechte Erinnerungen an die rutschige Spiegelglätte der Habsburgermetropole. Die Querelen und Untiefen des intriganten Wiener Beamten- und Architektenwesens ließen den großen Meister 1876 entnervt das Handtuch werfen.

Theophil Hansens Zauber ist in Wien, der Stadt in der er wirkte, ungebrochen. Seine Architektur ragt hervor. Hansens Bauten verströmen einen Hauch von kultivierter Eleganz und klugen Geist der Epoche, mehr als jene anderer Architekten seiner Zeit. Sie scheinen ungebrochen die Jahrhunderte zu überdauern und jede historische Schwere mit Leichtgestalt und Noblesse hinter sich zu lassen. Auch daraus mag sich die große Beliebtheit seiner Bauten einst und jetzt erklären.

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Die Biologie des Bauens