Wovon wir reden, wenn wir von Afrika reden

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Gabriele Reiterer
Die Presse / Spectrum
16. Februar 2018

Heuer im Mai steigt hier in Dakar die Dak’Art, wichtigster Umschlagplatz des afrikanischen Kunsthandels. Drüben vor der Stadt aber, auf der ehemaligen Sklaveninsel Gorée, im Museum Maison des Esclaves, ist zu besichtigen ein anderer Umschlagplatz: jener des Menschenhandels. Nachrichten aus Senegals Hauptstadt.

Feuerrote Streifen ziehen am Himmel, Wolkenozeane schimmern am Horizont. Dahinter leuchtet die brennende, sinkende Sonne. Dakar liegt am westlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents und siedelt sich als westlicher Mythos zwischen Autoralley und afro-europäischer Metropole an. Rasterartig legt sich die Stadt über die ins Meer ragende Felsspitze des Cap Vert, das wie ein seitwärts gebogener Schnabel in den Atlantik ragt. Immer weht der leichte Wind vom Atlantik, kühlt mit seiner bewegten Luft die Hitze und lässt sie erträglicher werden.

Dakar ist facettenreich im urbanen Charakter, reizvoll großstädtisch und dörflich zugleich. Die großzügige Besiedlung der Corniche, deren niedrige panoramaartige angelegte Häuser in idyllischer Lage am Meer entlang säumen, ähnelt südeuropäischen Vororten, während Stadtviertel wie das Plateau im Raster angelegt sind. Im Plateau findet sich die einstige Kolonialarchitektur mit ihren niedriggeschossigen Bauten, mitunter farbig und zumeist in schlechtem Zustand. Dazwischen ragen Bauten aus den sechziger Jahren empor, die nach der Unabhängigkeit Senegals – der Dichter Léopold Sédar Senghor wurde 1962 zum ersten Präsidenten der unabhängigen Republik Senegal gewählt – zahlreich emporschossen. Vor allem um die Place de l’independance stehen zahlreiche Hochhäuser, deren skulptural ausgestaltete Fassaden Anlehnungen an die Italienische und lateinamerikanische Architektur jener Zeit bilden. Auch der sudanesische Baustil mit seiner ausgeprägten speziellen Skulpturornamentik bildete eine Vorlage für das damalige Neue Bauen in Dakar. Dakar ist ein urbaner und architektonischer Mix aus alt und neu, eine heiße Melange aus Planung und Zufall.

Die Bezeichnung Dakar stammt von den Worten Daxar oder Dekraw aus der Sprache des Wolof. Ersteres bedeutet Tamarindenbaum und zweites Zuflucht, das sich möglicherweise auf die Lage der geschützen Hafenbucht bezog. Angeblich waren es Mitglieder des Stammes der Lebou, die erstmals das Cap Vert besiedelten. 1750 gab es eine erste Erwähnung einer Besiedelung der Gegend um das heutige Hafengebiet.

1845 wurde eine französische Missionsstation errichtet und markierte den Beginn der urbanen Entwicklung Dakars. Ein Fort, Hafen, Handelshäuser und Faktoreien enstanden im Plateauviertel, dem heutigen Zentrum Dakars. Der Bau einer Eisenbahnlinie nach Saint Louis und des Hafens als Flottenstützpunkt markierten den Beginn eines Aufschwungs im kolonialen System; Frankreich verlegte 1907 den Sitz der Kolonialverwaltung für Westafrika von Saint Louis nach Dakar. 1923 wurde die Bahnlinie nach Bamako, der Hauptstadt von Mali gebaut.

Dakar gilt als kultureller Mittelpunkt des afrikanischen Kontinents. Léopold Sédar Senghor, der einstige Dichterpräsident und politisch-kulturelle Lichtgestalt, stellte der Francité die Négritude entgegen. Die literarische, philosophische und kulturelle Strömung trat für die kulturelle Selbstbehauptung Afrikas ein. So findet auch in Dakar  alle zwei Jahre die Dak’art, die afrikanische Kunstbiennale statt. Für die afrikanische Gegenwartskunst ist die Veranstaltung ein Zentrum des kulturellen Geschehens und wichtigster Umschlagplatz des Kunstmarktes. Die Eröffnung bildet stets den Auftakt zu einem vierwöchigen beeindruckenden Spektakel, das beinahe rund um die Uhr läuft. Die DakArt soll dem Austausch und dem Transfer afrikanischer Kunst dienen. Zahlreiche Ausstellungen, Modeschauen und Tanzveranstaltungen finden in diesen Wochen statt. In diesen Wochen vibriert die Stadt.

Immer noch leidet die afrikanische zeitgenössische Kunst unter einem ausgeprägten Gefühl der Minderwertigkeit. Dies gründet in einer hartnäckigen Identität klischeehafter Phantasien von ursprünglichen und sinnlichen Sehnsüchten: Stets war der Kontinent eine Projektionsfläche der Exotisierung. Sigmund Freud beschwor den Kontinent einst als geheimnisvolles, unentdecktes, ursprüngliches Land, dessen Weite und unbekannte Tiefe auch Angst auslöste. Inneres Afrika, nannte Freud das Unbewusste des Menschen, der „dunkel lockende“ Kontinent als eine Art Ur-Psychoanalyse? Die Schriftstellerin Tania Blixen erzählte von ihrer Farm am Fuße der Ngong Berge, wo sie am Abend vor dem ersten Weltkrieg im kolonialen Britisch Ostafrika äußere und innere Freiheit lebte.

Jenseits aller Mythen besitzt das Land tatsächlich eine sinnliche Urkraft. Die Farben Westafrikas sind unvergleichlich. Orange, ocker, gelb, gold und rötlich schimmernd mischt sich das Kolorit der Erde mit dem dem strahlenden Blau des Atlantik. Das Licht ist berückend. Es lässt die Farben leuchten, strahlen und bringt sie zum förmlich zum Glühen. Als der Schweizer Maler Paul Klee zu Beginn des Jahrhunderts von seiner (nord)afrikanischen Reise zurückkehrte, waren seine Sinne vollkommen überwältigt. „Es dringt so tief und mild in mich hinein“, notierte Klee in sein Tagebuch, „die Farbe hat mich. Sie hat mich ganz.“ Viele Europäer konnten sich dem Zauber des Kontinents nicht entziehen. 

Wiederverzauberungen, die ebendiesen Blick Europas auf den Mythos Afrika beschwören, sind auch gerne Thema künstlerischer Veranstaltungen. Ob nun Klischee oder nicht, ein geschicktes Spiel mit Mythos und Projektion bleibt offen. Das Interesse an afrikanischer Kunst ist bei Europäern generell groß, aber welches Afrika ist damit eigentlich gemeint? Ein seltsames Gefühl macht sich breit, wenn sich ein französisches Paar im Mercedes mit Fahrer aus dem Park des Musee de l’ Art Africain chauffieren lässt. Durch die getönten Scheiben des klimatisierten Wagens dringt weder die sengende Hitze, noch kann die grelle Sonne der hellrötlichen Haut der Dame etwas anhaben. Ein Besuch im Reich der afrikanischen Kunst, vielleicht sind es Besitzer einer Kunstgalerie oder Kunsthändler auf der Schau nach den neuen Tendenzen, vor allem solcher, die sich in Europa gut verkaufen lässt.

Im französischen Kulturinstitut in Dakar tönt bereits am Nachmittag Musik. Die Deckenventilatoren surren. Es ist brütend heiß. Der Lärm der Straßen versinkt im kühlen Garten, eine verlangsamte Gleichgültigkeit stellt sich ein. Flag, das leichte Bier bereits am frühen Nachmittag genossen, tut das Übrige. Mit der entsprechenden Vorstellungskraft lässt sich die Zeit zurückdrehen. Wie war es einst, als die Herren ihre Klubs aufsuchten, um unter sich zu sein und soziales Leben unter ihresgleichen zu zelebrieren: Besitzer über Land und Menschen in den Enklaven ihrer Kultur und ihrer Sitten. Ein spezieller Reiz lag der Bindung zu den Kolonien zugrunde und prägte eine Mischung aus Autorität, Macht, Verachtung und eigenwilliger Romantik. Die Großwildjagd, Phantasien von Freiheit und Abenteuer, aber auch Rebellion und Individualität waren Projektionen, mit denen das Bild Afrikas in westlich-europäisches Denken einverleibt wurde.

In der Avenue Lamine Guèye 180 liegt am Eck, face à la cathedrale, ein Cafe. Das Cafe Laetitia oder Lutétia, der tatsächliche Name ist nicht ganz auszumachen, ist ein kleines Juwel. Es ist weder räumlich noch atmosphärisch einer gestalterischen Richtung zuordenbar. Zeitlich lässt es sich eindeutig, in unseren Kategorien mitteleuropäischer gestalterischer Zuordnung, in die späten Neunzehnhundertsechzigerjahre stellen. Der Grundriss ist hakenförmig, mit räumlichen Flanken links und rechts. Vorne steht eine riesige Vitrine mit Kuchen, Torten und verschiedenem köstlichen Backwerk. Der Thé à la menthe kommt in kleinen Silberkännchen. Im Lutétia lässt es sich die Zeit herrlich vertreiben. Weiter am Kermel-Markt wuselt es an den Ständen mit Obst und Kräutern: Rufe, Gewirr und sinnesbetörende Düfte.

Ein völlig anderes Szenario herrscht im Patio eines Baus aus den Neunzehnhundertdreißigerjahren. Es gibt köstliche Gerichte der senegalesischen Küche, die aus viel Fisch und Getreide besteht. Auch hier ist ein Schauplatz der Dak’art. Während es in den Tagen der Eröffnung noch von Menschen wimmelte und größte Hektik herrschte, ist nun Ruhe eingekehrt. Auf dem Obergeschoß, das genauso genommen ein Flachdach mit umlaufenen Wänden ist, sind riesige Planen gespannt, die als textiles Dach den Raum gestalten. Dakar ist die Modemetropole des afrikanischen Kontinents. Einige Nähmaschinen stehen herum, Stoffballen liegen auf dem Boden. Die gewachsten Gewebe sind von strahlender, fast barocker Leuchtkraft. Ansonsten ist der große Raumhybrid leer. Durch die Öffnungen zwischen den Planen und dem Mauerwerk dringen die Sonnenstrahlen. Sie zaubern ein Lichtornament aus schmalen Balken über den geometrisch gemusterten Fliesenboden. Ein kleiner Junge beschäftigt sich selbstvergessen im Spiel. Plötzlich kommt er näher und zeigt mit der Hand in eines der Modeateliers, die nebenan liegen. Eine junge Frau zeigt ein blusenartiges Oberteil, dessen geraffte Fülle und gepuffte Ärmel nach unserer Vorstellungen jede Figur zu einem unförmigen Wesen verunstalten würden. Sie trägt es mit unvergleichlicher grandesse und einer herrlichen Körperhaltung, die aus der Stofffülle eine hinreißende Inszenierung schaffen.

Vor Dakar liegt die Ile de Gorée. In einem Turm der ehemaligen Befestigung der Insel, die traurige Berühmtheit besitzt, wohnt ein Künstler. Ein kleines Haus, eine Maison des Esclaves, wie auch ein Museum der Insel heißt, beherbergt eine Off-Dak’art Ausstellung. Es ist das ehemalige Haus eines Sklavenhändlers, viele dieser Bauten sind auf Gorée erhalten und es lässt erahnen, welches Entsetzen und welche Unmenschlichkeit dieses düstere Kapitel der Geschichte prägte. Im Erdgeschoß des Hauses liegen kleine Räume mit vergitterten Fenstern. Hier wurden die Menschen wie Tiere gehalten, bevor das Schiff sie in ihre lebenslange Gefangenschaft brachte. Auf Gorée befand sich angeblich einst der größte Sklavenumschlagplatz der afrikanischen Küsten. Die Insel osziliert zwischen Mythos und realer Geschichte. Gorée wirkt, trotz der Geschichte, mit seinen bunten Kolonialhäusern äußerst anziehend. 1978 wurde die ehemalige Sklaveninsel von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

Weiter an der Küste in der ehemaligen Hauptstadt Französisch Westafrikas zeigt sich die patinierte Pracht der einstigen Hauptstadt. Saint Louis ist eine berückende atmosphärische Melange aus afrikanischer Realität und glanzvoll verblichener Kolonialstadt. Immer wieder nicht ganz richtig, Gustave Eiffel zugeschrieben, verbindet die sensationelle Schwenkbrücke Pont Faidherbe eine lagunenartig, vorgelagerte Insel mit dem Festland.

Und überall meckernde Ziegen. Sie scheinen die geheimen und wahren Bewohner der Stadt, allerorten tummeln sich die Tiere, lugen hinter den Häusern hervor und spazieren auf den Strassen.

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