Was vom Bauhaus blieb

Bild von Dächern zu Gabriele Reiterers Essay was vom Bauhaus blieb

Gabriele Reiterer
Die Presse / Spectrum
30. März 2019

Den Bauhäuslern erging es wie vielen Utopisten. Über dem Eifer, die Welt neu zu gestalten, übersahen sie, dass Menschen Gefühle haben. April vor 100 Jahren: Das Bauhaus wird gegründet. Wovon in diesen Jubeltagen nicht so gern geredet wird. Hinweise einer ehemaligen Bauhaus-Dozentin.

Elfenbeauftragte oder Neues Bauen? 2004 musste ich mich entscheiden. Eine Gastdozentur in der Hauptstadt von Island, wo die Bebauungspläne Rücksicht auf die Feenplätze nehmen. Oder die Morgenröte der Moderne. Es wurde schließlich ein Jahr Weimar. Meine Erwartungen waren nicht allzu hoch. Als ich jedoch einen Tag nach meiner Ankunft das helle Gebäude des Architekten Henry van de Velde, das nun die Bauhaus-Universität beherbergt, erstmals betrat, stand für einen Augenblick mein Atem still. Die Räume verströmten eine berückende Atmosphäre. Ich stand im lichtdurchfluteten Foyer, blickte in die Sonne und schloss die Augen.

Weimar 1904. Das neue Jahrhundert hatte eben begonnen. Ein belgischer Architekt stürmte Weimar. Harry Graf Kessler, Graf Werthern und Elisabeth Förster Nietzsche hatten ihn nach Weimar berufen. Er sollte die in die kulturelle Bedeutungslosigkeit verfallene Stadt beleben. Henry van de Velde war besessen von der Idee des Gesamtkunstwerks, lüftete energisch die überladene Architektur des 19. Jahrhunderts und wollte vor dem Hintergrund der Reformbewegung eine neue Kunst erschaffen. Und eine neue Schule. Das Gebäude des neugegründeten Seminars baute van de Velde in unvergleichlicher Anmut eines geglätteten Jugendstils, der sich in lichter Klarheit und einem Hauch vegetabiler Formen zeigte. Das offene Vestibül, großzügige Vortragsräume und weite Erschließungsgänge schufen den perfekten Ort. Das kunstgewerbliche Seminar war voll ehrgeiziger Pläne. Angenommen wurden sie eher zögerlich. Die Geschichte des Seminars und der Kunstgewerbeschule, der Vorläufer des Bauhaus, ist die Geschichte eines Kampfes, den sein wahrer Begründer bitter zu spüren bekam. Der Umgang der Weimarer mit dem von konservativen Kräften ungeduldeten „Ausländer“ nahm bald schikanöse Ausmaße an. Van de Velde warf das Handtuch und empfahl den jungen Walter Gropius als seinen Nachfolger. Als der Krieg zu Ende war, entstand 2019 aus der Vereinigung von Seminar und Schule, das Bauhaus. 

Meine Unterkunft lag am Rand von Weimar in einem renovierten Fachwerkhaus. Mein Vermieter war ein Architekt. Wir saßen viel am Biotop zwischen den Blumenrabatten im Garten, mit einem Bier in der Hand, und sprachen über das Bauhaus und der daraus hervorgegangenen Hochschule für Architektur und Bauwesen in der DDR. Die Veröffentlichungen jener Dekaden fanden sich wie spröde, fallengelassene Teile der Geschichte in den zahlreichen Antiquariaten der Stadt und waren zum Spottpreis zu haben. In der DDR war alles gerechter gewesen, meinte mein Vermieter. Sein 

Zugeständnis an den westlichen Kapitalismus war ein schwarzglänzender BMW, den er sichtlich stolz durch Weimar steuerte. Meine Dozentur ließ mir viel freie Zeit. Ich streifte durch die herrlichen Parks, besuchte Goethe und Schillers Stuben deutscher Klassik und ergründete die Geschichte des Bauhaus.

Das frühe Bauhaus war nicht das, was es später werden sollte. Die ersten Jahre prägte Johannes Itten, der „heimliche Direktor“. Walter Gropius hatte den charismatischen Schweizer Maler in Wien im Salon von Alma Mahler kennengelernt und umgehend nach Weimar berufen. Der „Meister“ vertrat eine mystisch eingefärbte Kunstauffassung höchster Individualität. Sie zog sich durch seine Lebensführung und war selbstverständlich Teil des Unterrichts. Heute würden wir die Zuschreibung Ganzheitlichkeit verwenden. Fernöstliche Philosophien, wie die persische Lehre des Mazdaznan, vegetarische Ernährung, Meditationen und spezielle Kleidung; so wurde am frühen Bauhaus Kunst gelehrt und auch gelebt. Als der Schriftsteller Ilja Ehrenfels Weimar besuchte, berichtete er in einem Brief über den provokanten Auftritt des mönchisch kahlgeschorenen Johannes Itten und der „Trottel von der Akademie in ihren konstruktivistischen Hemden“, die im Weimarer Cafe´ Resi die Bewohner der Stadt brüskierten. „Expressionistische Konfitüre“ urteilten auch Vertreter der Fachwelt über diese erste Phase des Bauhaus. Die Spannung zwischen Johannes Itten und Walter Gropius wuchs. In ihren konträren Positionen verkörperten beide den Grundkonflikt der Kunst des neuen Jahrhunderts: Walter Gropius betonte die neuen Möglichkeiten der industriellen Produktion und das pragmatische Prinzip einer Einheit von Kunst und Technik. Johannes Itten huldigte einer von Handwerk und individuellem Entwurf geprägten, universalistischen Kunstauffassung. 

Der experimentelle Charakter der ersten Bauhausjahre war von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Sie bildeten beileibe keine verschrobene, esoterische Etappe. Ja, rückblickend erscheint diese frühe „Phase“ als hochproduktives Feld. In jenen Jahren entstand das Fundament für ein außergewöhnliches Lehrkonzept. Aber was zeichnete den Unterricht am Bauhaus wirklich aus? Was unterschied die Lehre von anderen pädagogischen Konzepten? Im sogenannten Vorkurs mit speziellen Kontrast- Material- und Texturlehren wurden Wahrnehmung und Sinne der zukünftigen Künstler geschult. Laszlo Moholy-Nagy veröffentlichte in der Reihe der „Bauhausbücher“ 1928 eine Schrift zur sogenannten Vorlehre. In Von material zu architektur erklärte er, dass durch die Auseinandersetzung mit Material, Oberfläche und Textur ein intensives Gespür für Gestaltung geweckt werde. Laszlo Moholy-Nagy berief sich dabei unter anderem auf Konrad Fiedler, einem Kunsttheoretiker, der um die Jahrhundertwende Empfindung und Gefühl als essentielles Moment einer neuen, empirischen Kunstästhetik formulierte. Die Kunst verdanke „ihr Dasein eben nicht mehr nur dem Auge“ so Fiedler. Auch Einflüsse der neuen Wissenschaft der Psychologie wurden dabei wirksam. Die Lehre am Bauhaus stellte die Beschäftigung mit dem Handwerk ins Zentrum. Dabei ging es nicht um das bloße Erlernen eines Handwerks, sondern um das sinnliche Erlebnis, das „erlebnishafte begreifen, wie es durch das buchwissen im üblichen schulbetrieb in traditionellen unterrichtsstunden nie erreicht wurde,“ so Moholy Nagy. Kunst, Architektur und Handwerk würden in einer idealen Verbindung schließlich den Bau als Gesamtkunstwerk schaffen. Das Experimentieren und Entwerfen in den Bauhauswerkstätten bedeutete Arbeit, Lehre, Praxis und Forschung gemeinsam. Den Werkstätten für Keramik, Weberei, Tischlerei, Metall, der grafischen Druckerei, Bühnenwerkstatt, Glas- und Wandmalereiwerkstatt standen je ein Werkmeister, für die handwerklichen und technischen Aspekte und ein Formmeister, zuständig für ästhetisch-gestalterischen Seiten, vor. Damit ist das pädagogische Konzept und Ziel der Bauhauslehre in ihrer Essenz umrissen. Die Lehre umfasste Architektur, Malerei, Gestaltung, Fotografie, Film, Bühnenbild und Textilkunst. Interessant ist, dass in den ersten Jahren die Architektur eine untergeordnete Rolle spielte. Am Bauhaus lehrten Oskar Schlemmer, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Mies van der Rohe und andere, Österreicher waren Friedl Dicker und Franz Singer oder Anton Brenner, der nach Wien schrieb, „ international und ganz links“ wäre es hier am Bauhaus.

Der an der Wiege des Bauhaus entstandene Ansatz bildete auch in den späteren Jahren das Fundament der Lehre. Daran sollte auch der rationale Kurs, den Walter Gropius nun vorgab, nicht viel ändern. Die experimentelle Zeit jedoch ging 1923 mit dem konfliktreichen Abschied von Johannes Itten zu Ende. Walter Gropius, mehr Pragmatiker als Künstler, vertrat, auch unter äußerem Zwängen, denen das Bauhaus zunehmend zu unterliegen begann, die Verbindung von Kunst und serieller Produktion. Der individuelle Entwurf trat zugunsten von Typisierung zurück. Dem Zeitgeist entsprechend, forderte man auch in der Architektur eine „Verwissenschaftlichung“ der Methoden. 

Den Studierenden erzählte ich vom neuen Raumverständnis der frühen Wiener Moderne, von der Kunstgewerbeschule und wie sich diese vom Bauhaus unterschied, obwohl die Ausgangslage, sprich die Inspiration durch den wissenschaftlichen Zeitgeist, ähnlich war. Am meisten gefiel ihnen jedoch, dass ich, wie in Wien, das Seminar gern im Kaffeehaus oder überhaupt im Freien hielt. Wir besuchten Henry van de Veldes Wohnhaus von 1910, das er für sich und seine Familie in Weimar baute. Bürgerliche Reformarchitektur als Vorreiter der Moderne. „Unter Pappeln“ war nicht im bauplastischen Sinne aufgefasst, sondern im späteren Kerngedanken der Modern, in seiner räumlichen Disposition radikal von innen nach außen geplant. Van de Velde gestaltete alles nach eigenen Entwürfen, Möbel, Türklinken, Essbesteck, bis hin zur Kleidung seiner Ehefrau Maria Séthe, der er zeitlebens sehr schwer die Treue halten konnte. Skurrilerweise kam das Haus erst 1997 richtig in die Medien, als ein Architekt in der Pappelvilla mit einer großkalibrigen Magnum 357 seinen Geschäftspartner niederstreckte.

Im Bauhaus ging es ab 1924 nun endlich richtig ums Bauen. Der offene Raum wurde zum Leitbegriff der frühen Architekturmoderne. Die Idee des „fließenden“ Raumes fand immer stärker Eingang in die Architektur. Die Raumgestaltungen zeigten sich vom neuen naturwissenschaftlichen Weltbild intensiv berührt. Die Erkenntnisse der theoretischen Physik in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts revolutionierten mit die Architektur der frühen Moderne. Am Bauhaus interessierten sich Walter Gropius und Mies van der Rohe für die neuen Erkenntnisse der Physik. Der kunstaffine Physiker Felix Auerbach, der in jenen Jahren an der Universität in Jena lehrte, war Dauergast am Bauhaus und Vermittler eines atemberaubenden neuen Wissens um Raum, Zeit und Bewegung. In Wien waren es unter anderem der Experimentalphysiker Philipp Frank, Bruder des Architekten Josef Frank und der logische Empirismus des Wiener Kreis, der die Kunst inspirierte. Die theoretische Physik zog ab den Neunzehnhundertzwanzigerjahren Künstler und Architekten schwer in Bann. Ohne den Gang der wissenschaftlichen Argumentation im Einzelnen zu folgen, dazu fehlte ihnen, wen sollte es verwundern, schlicht das Rüstzeug. So explodierte einmal Albert Einstein auf die Frage des „Einflusses“ der Relativitätstheorie auf die Kunst. Der Architekt Erich Mendelsohn erkundigte sich beim Bau des Einsteinturms auf dem astrophysikalischen Observationsgelände in Potsdam beim Physiker, „ob denn der Begriff der Vierdimensionalität auf ein fixes, also unbewegliches Objekt angewendet werden dürfe“, und holte sich eine herbe Abfuhr. „Das ist jetzt einfach nur Klugscheißerei“ schleuderte Albert Einstein dem Architekten entnervt entgegen. Die neuen Erkenntnisse der Physik inspirierten die Architektur. Aber nicht über ein intellektuelles Verständnis abstrakter, komplexer naturwissenschaftlicher Theorien, sondern vielmehr über bildlich aufgeladene Affinitäten. Wir können davon ausgehen, dass die Wiener Rezeption des wissenschaftlichen Zeitgeistes inspirierter, vielschichtiger, mehrdeutiger, vielleicht auch intelligenter – eben wienerischer – als am Bauhaus war. 

An einem herrlichen Frühlingstag fuhr ich mit den Studierenden nach Dessau. Als wir am Gelände ankamen, betrachtete ich den berühmten Bau mit dem senkrecht gesetzten Schriftzug außen. BAUHAUS. Er erschien in meinen Augen wie ein aus den Fugen geratenes Etikett. Wir betraten die Räume der einstigen Schule. Alles schön und vorbildlich renoviert. Nur – ein Gefühl wollte sich bei mir nicht einstellen. So inspiriert der Weg in Weimar begonnen hatte, so orthodox begann er bald zu werden. Im Frühjahr 1925 bezog das Bauhaus die von Walter Gropius entworfenen Räume in Dessau. Die Bauhausmoderne entwickelte zunehmend stereotype und ideologische Züge. Auf Selbstgründung eingeschworen, lief sie in eine deutlich technoide Richtung. Mit rationalen Gedanken und Abkehr von individuellem Ausdruck wollte man die Welt verändern. So ging es den Bauhäuslern schließlich wie vielen Utopisten. Über dem Eifer die Welt neu zu gestalten, übersahen sie, dass Menschen Gefühle, und auch Dinge eine Seele haben. Die Fratze der Zwanghaftigkeit lugte bedenklich hinter der schönen neuen Welt hervor. Als der neue Direktor des Bauhaus, Hannes Meyer verkündete, dass Bauen, nun „ein technischer und kein ästhetischer Prozess“ mehr sei, waren die Würfel gefallen. „Jede künstlerische Komposition“ widerspräche der zweckmäßigen Funktion eines Hauses. Das Wohnhaus sei nun eine „Wohnmaschinerie“. Mit „Aluminium, Euböolith, Ruberoid, Torfoleum, Eternit, Rollglas, Triplexplatten, Stahlbeton und Glasbausteinen“ organisiere man Zweck und ökonomischem Grundsatz entsprechend, konstruktive Einheiten. Architektur als Weiterbildung von Tradition und als „Affekt“ habe aufgehört. „Die konstruktive Form kennt kein Vaterland; sie ist zwischenstaatlich und Ausdruck internationaler Baugesinnung.“ So dröhnte Hannes Meyer 1926 über die schöne neue Welt. Das Bauhaus baute mit kühlen Materialien, wissenschaftlich begründet und von metaphysischen Resten gereinigt. 

Wir fuhren zurück nach Weimar. Ich schob es viele Wochen auf. Vor den Toren der Stadt fuhr ich auf den Ettersberg, weil ich nicht anders konnte. Durch die liebliche Landschaft, der Aura deutscher Klassik und dem Bauhaus verlief gefühlter Stacheldraht. Ich durchschritt das Lagertor. Buchenwald war das größte Konzentrationslager auf deutschem Boden. Ich betrat eine Lagerbaracke und die Genickschussanlage. Die Gedanken an die Geschichte meiner Vorfahren musste ich verscheuchen. Es wäre in diesem Moment zu viel gewesen.
Unter den Nationalsozialisten wurde das Bauhaus in Dessau geschlossen. Ein Neuanfang in Berlin ging daneben. So endete das ganze Unterfangen. Manche Lehrende, so Walter Gropius, emigrierten in die Staaten. Die Geschichtsschreibung erzählt uns weiter, dass die Bauhausmoderne in Deutschland zu ihrem Ende kam, sich ihre Vertreter in aufrechter politischer Gesinnung in Emigration oder Widerstand begaben. Denn überpolitisch zu bleiben und doch politisch zu sein, wäre in dieser Zeit mehr denn je die wichtige Doppelfunktion der Kunst gewesen. Gefehlt. Denn eine andere Geschichte des Bauhaus ist jene der Verbleiber. Es ist erstaunlich wie manche Helden des Bauhaus zwischen den weltanschaulichen Lagern lavierten. Ernst Neufert, der das maßgebliche Werk zur Entwurfslehre verfasste, landete in der Entourage des Reichsarchitekten Albert Speer und kümmerte sich um Neue Sachlichkeit für Industrie und Militär. Der österreichische Typograf Herbert Bayer gestaltete Werbung für imprägnierte Kleidung „aus arischer Hand“. Dass auch die Nazis liberalmodernen Lifestyle zeigten, davon zeugt das Magazin „Die neue Linie“. Die Titelblattentwürfe lieferten Namen mit Bauhausbezug wie Herbert Bayer, Hans Ferdinand Neuner und László Moholy-Nagy, der Bauhauskünstler der ersten Stunde. 

Was ist uns vom Bauhaus geblieben? Ein UNESCO Weltkulturerbe in Dessau, ein interessantes Lernkonzept, Stahlrohrmöbel, Designerkannen, Lampen, Schrifttypen, die wunderschöne Max Bill Uhr von Junghans und manches mehr. Was hat das Bauhaus wirklich zur Moderne beigetragen? Weniger an Substanz, als viele verherrlichende Rufe in diesem Jubiläumsjahr behaupten. Zumindest in der Architektur traten die wahren Meister der Moderne auf individuelleren und intelligenteren Sohlen. Und sie waren oft in Wien zu finden. Doch das ist eine andere Geschichte.

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Wie baut man „alpin“?